Style Points ist eine wöchentliche Kolumne darüber, wie sich Mode mit der Welt überschneidet.
“Das Primat der Kleidung.” Das war der erklärte Ausgangspunkt von Miuccia Prada und Raf Simons für ihre Herrenkollektion Herbst 2023 im Januar. Und es ist ein Gefühl, zu dem Designer in letzter Zeit zurückgekehrt sind, weil sie es satt haben, den konzentrischen Trendzyklen der TikTok-Trendprognosen, der Tyrannei von „-cores“ und dem flüchtigen Dopamin-Hit viraler Momente zu folgen. Mit dem Abgang des maximalistischen Maestro Alessandro Michele, einer allgemeinen Stimmung des Minimalismus in der Mode und einem erneuten Interesse, in die Klassiker zu investieren, herrschte in dieser Saison ein gewisses Maß an Zurückhaltung. Das waren keine kurzfristigen Faszinationen. Es waren Kleider zum Verlieben.
Und es hatte ein Zeitgefühl, das länger war als eine TikTok-Nanosekunde – eine Affinität zu den langen Einstellungen des klassischen Kinos, der Aufmerksamkeitsspanne einer vergangenen Welt, der Geduld, die ein Designer braucht, um ein Vermächtnis aufzubauen, und dem zeitaufwändigen Handwerk, das erforderlich ist, um Stücke zu schaffen die man ewig tragen kann.
Prada Herbst 2023.
Miuccia Prada hat bekanntlich dazu beigetragen, die Idee der „hässlichen Eleganz“ zu entwickeln, aber diese Saison war eine Meditation über Schönheit. Und zu den Uniformen, die für das Duo ein faszinierender Punkt waren. Sie und Simons bezeichneten sie als „schneiderische Darstellungen von Sorgfalt und Verantwortung“, ein Zeichen der Beständigkeit in einer sich verändernden Welt. Bei Uniformen geht es in gewisser Weise um Zeit: Investition von Fähigkeiten und Beharrlichkeit der Arbeit. Gebrauchsgegenstände wie Militärjacken und -mäntel wurden ultrahübschen, gesellschaftswürdigen Artikeln gegenübergestellt (vom Hochzeitskleid inspirierte Röcke mit 3D-Blumenverzierungen, bonbonfarbene Pumps). zwei diametral gegenüberliegende Scheiben. Mode: Alltagskost und Freizeitkleidung. Warum ist Schönheit auf bestimmte, von der Gesellschaft sanktionierte Momente beschränkt? Warum können wir den Alltag nicht als Ereignis behandeln?
Dior Herbst 2023.
Bei Dior hat Maria Grazia Chiuri in den 1950er Jahren geschaut, was in einer Modebranche, die derzeit mit den 90er und den kommenden Jahren assoziiert wird, nicht so weit verbreitet ist. Inspiriert vom Leben und Stil von Catherine Dior (Schwester des Gründers des Hauses, Blumenbäuerin und französische Widerstandskämpferin) und den Sängerinnen Edith Piaf und Juliette Gréco fertigte sie existenzialistische Beatnik-Uniformen, die sich gegen den schmutzigen Radikalismus dieser Zeit richteten. Für Chiuri kann Kleidung absolut so intellektuell sein wie eine Kaffeehausgewohnheit am linken Ufer. Sie nannte es “die greifbare Verkörperung einer Denkweise, ein Mittel, sich der Welt zu nähern und sich ihr anzupassen.”
Bottega Veneta Herbst 2023.
Matthieu Blazy von Bottega Veneta setzte den „Kate Moss in Jeans (luxuriöses Leder als Denim getarnt) und Flanellhemd“-Moment der letzten Saison mit Trenchcoats, Hemden und eleganten Anzügen fort. Während sie ihre maximalistischen Momente hatte, zeigte die Kollektion ihre Stärke, wenn es um dezenten Luxus geht. In seinen Händen sah sogar eine einfache Kombination aus Weiß und Jeans unwiderstehlich aus.
Bally Herbst 2023.
Zwei junge Designer, die mit Spannung erwartete Arbeiten im zweiten Jahr unternehmen – Rhuigi Villaseñor von Bally und Maximilian Davis von Ferragamo – zeigten, dass sie mit ihren Herbstkollektionen in den großen Ligen spielen können. Die als „The Persistence of Time“ bezeichnete Kollektion von Villaseñor wurde von Hollywood inspiriert und fühlte sich vom Erbe und der Geschichte des Kinos durchdrungen, ob es sich um die Après-Ski-Outfits der alten Hollywood-Ikonen oder die Überbleibsel des roten Teppichs aus der Vergangenheit handelte. Es ist klar, dass Villaseñor einer von vielen Designern war, die ihren persönlichen Rhythmus überdachten. Um aus seinen Shownotes zu zitieren: „Sein Ansatz vermeidet den flüchtigen Moment für den ganzen Film.“
Backstage bei Ferragamo, Herbst 2023.
Davis blickte auch auf die Leinwand und die Vergangenheit. Er kehrte zu der reichhaltigen Textur zurück, die das filmische Erbe des Hauses ausmacht, insbesondere in den 1950er Jahren, als Salvatore Ferragamo Marilyn Monroe und Sophia Loren einkleidete. „Ich war daran interessiert, ihren Glamour und ihre Schönheit und ihre Art, sich zu kleiden, als Referenz zu verwenden, aber zu sehen, wie wir es modern wirken lassen können“, sagte der Designer in seinen Shownotes. Er wollte sich auf die „romantischere Seite“ des Jahrzehnts konzentrieren, mit Elementen wie schulterfreien Ausschnitten und weiten Röcken. Aber Davis‘ Mid-Century-Star hatte auch einen Vorteil, einen, der in Bonbonpapier und Hydrantenrot und Akzentgelb auftauchte.
Reihe Winter 2023.
Und auf The Row, immer eine Bastion der Stilreserven, machten Carolyn Bessette, Mary-Kate und Ashley Olsen große Gesten, wie übergroße, geknotete Umhänge oder Kleider mit dramatischen Opernhandschuhen. Trotz ihrer hohen Qualität fühlten sich die Kleider an, als ob sie im wirklichen Leben existierten, nicht auf einem Laufsteg – besonders im Fall eines knallroten Mantels, der zusammen mit Handschuhen und einer Minitasche an der Brust festgeschnürt war, wie es die Designer selbst in einem von ihnen hätten tun können ihnen. eigene Streetstyle-Fotos mit endlosen Referenzen. Ein weiterer Lichtblick: Maggie Rizer auf dem Laufsteg erscheinen zu sehen. Zusammen mit willkommenen Rückkehrern in dieser Saison von Amber Valletta und Jessica Stam war es eine Erinnerung daran, dass Mode am besten ist, wenn sie zeitlos ist.
ELLE Fashion Features Director
Véronique Hyland ist Fashion Features Director bei ELLE und Autorin von Dress Code, das zu einem der besten Bücher des New Yorker des Jahres gewählt wurde. Ihre Texte sind zuvor in The New York Times Magazine, The New Yorker, W, New York magazine, Harper’s Bazaar und Condé Nast Traveler erschienen.